top of page

Kapitel 8 : Riwal und die ausgefuchste Färberdistel

Heute Morgen hat Riwal mal wieder ausgeschlafen.

Da das nicht oft vorkommt, hat er fast das Gefühl es sei Sonntag. Er weiß inzwischen, dass es während der Druidenausbildung keinen freien Tag gibt. Jeder Tag ist gut um der Natur, dem Wald und seinen Bewohnern näher zu kommen.

Nach der täglichen Danksagung dreht er eine Runde um seine Hütte und vergewissert sich, dass es den Zitrusfrüchten im Gewächshaus gut geht.

Die Tage werden immer länger und tagsüber lässt Riwal die Gewächshaustür und einige Fenster zum Lüften geöffnet.

Giulia, die Orangenmama, ihr Mann Franceso, die Pampelmuse und die Kinder sind immer froh, wenn er bei ihnen vorbeischaut.

Etwas geheimnisvoll fragt Giulia, ob er den Briefkasten heute schon geleert hat.

Diese Frage ist eher ungewöhnlich, da Riwal bis vor Kurzem nicht einmal wusste, dass seine Hütte einen Briefkasten, geschweige denn eine Adresse hatte.

Er hatte noch nie einen Briefträger im Wald gesehen, auch wenn ab und an ein Brief seiner Familie ankam.

Dass Giulia danach fragt, verheißt ein neues Abenteuer, wie man es nur in Broceliande erleben kann. Riwal kribbelt es in den Fingern, so dass er vor Aufregung kaum das Schloss des Briefkastens aufbekommt.

Ein moosgrüner Umschlag liegt darin.

« Herr Riwal Soazic, Waldhaus Nr. 1, Broceliande » steht darauf.

Der Absender ist ihm unbekannt:

« Herr Faolan, Taiher Drouiz, Villa Renardière, La Gasiji ».

Sein Keltisch ist noch nicht gut genug, um zu verstehen, was ein « Taiher Drouiz » ist.

Jetzt öffnet er den Umschlag. Darin liegt eine grüne Karte, die mit silbernen Buchstaben bedruckt ist:

« Hiermit bestätigen wir Ihren Termin am 2. März zu Ihrer Druidenausbildung, Herr Riwal Soazic, Uhrzeit 11 Uhr, bitte seien Sie pünktlich ».

Entgeistert dreht Riwal die Einladung um auf der Suche nach einer Erklärung.

« Das ist alles?! Wieso bestätigt man mir einen Termin, den ich gar nicht ausgemacht habe? »

Und jetzt ist es schon 10h, er weiß gar nicht, wie er zu dieser Adresse pünktlich kommen soll. Er schaut nochmal in den Umschlag und findet eine Bahnfahrkarte, die er vorher übersehen hatte.

« Mein Zug geht um 10h30 in Paimpont ab?! Na dann aber mal hurtig! »

Auch wenn er nicht weiß, wer ihn dort erwartet, möchte er nicht zu spät sein: Druidenehre!

Schnell wirft er seinen Wollumhang um und steuert den Weg durch die Brennnesseln zum Bahnhof an. Diesmal geht es sehr viel schneller als am Tag seiner Ankunft und seiner ersten Begegnung mit Juna.

Endlich auf dem Bahnsteig angekommen, fährt gerade ein Zug ein.

Er besteht nur aus einem Wagen und eine Dampflokomotive.

Er sieht aus, als sei er dem örtlichen Transportmuseum entwischt.

Auf der Tür steht mit demselben grün-silbrigen Schriftzug « La Gasiji » geschrieben.

« Das ist ja ein Zufall » sagt er sich, auch wenn er selber nicht daran glaubt.

Er weiß inzwischen, dass bei Druiden der Zufall kaum vorkommt.

Er steigt in den Zug und setzt sich auf eine Bank. Außer ihm ist keiner im Zug.

Langsam und mit einem großen Schnaufen setzt sich die Lokomotive in Bewegung. Mit dem Zug durch « seinen Wald» zu fahren, ist etwas ganz anderes, als ihn zu Fuß zu ergründen.

Die Bäume ziehen immer schneller vorbei und der Rauch der Lokomotive verschleiert mehr und mehr die Sicht.

Da wir der Zug auch schon wieder langsamer und hält mit einem Ruck an, sodass Riwal gegen seinen Sitz gepresst wird.

« La Gasiji-Endstation » hört er aus dem Lautsprecher.

Riwal steigt aus dem Zug und lässt seinen Blick über den Bahnsteig schweifen.

« Keine Ahnung, wie ich jetzt die Adresse von der Einladung finden soll! Ich weiß nicht mal, nach wem oder was ich suchen soll! »

Außerdem ist es ihm nach so langer Zeit im Wald in dieser Kleinstadt irgendwie unwohl.

Etwas verloren läuft er durch die Straßen. Hier gibt es allerlei Künstler und Handwerker: Glasbläser, Schreiner, Imker sowie Gärten mir riesigen Metallblumen und Holzfiguren, Kerzen aus Bienenwachs und Maler, die vor Öl- oder Aquarellbildern sitzen.

Fast hätte er aufgegeben, nach der Villa Renardière zu suchen und sich in ein Café am Staudamm gesetzt.

Da sieht er neben einer Töpferei ein großes Schaufenster mit einem grünen Holzrahmen und der ihm inzwischen bekannten Silberschrift.

Dort steht geschrieben: « Meister Faolan - Ihr Schneider für alle Anlässe, die ihr Leben verändern werden ».

Riwal versteht gar nichts mehr. Wieso hat ein Schneider mit ihm einen Termin ausgemacht? Welcher Anlass soll mein Leben noch mehr verändern, als es sich schon verändert hat? Seit er seine Ausbildung begonnen hat, hat sich eh schon alles verändert.

Zögernd tritt er in den feinen Laden. Er versinkt in dem dicken Teppich, während das kleine Glöckchen an der Tür sein Eintreten ankündigt.

Er riecht nach Holz, diskretem Herrenparfüm und Bienenwachs.

Erst sieht er gar nichts, da es im Laden lange nicht so hell ist wie draußen in der Frühlingssonne.

« Willkommen Riwal, es ist mir eine Freude, Sie endlich kennenzulernen. Aus dem Wald habe ich so viel von Ihnen gehört, aber in echt sind sie noch viel beeindruckender! »

Riwal sieht hinter sich, da er das Gefühl hat, der Ladeninhaber redet mit jemand anderem.

Jetzt tritt aus dem Dunkeln ein Schatten, der eine große Stoffrolle trägt. Riwal verschlägt es die Sprache.

Er reibt sich die Augen und fragt sich, ob er nicht mal wieder träumt, nachdem er im Zug eingeschlafen ist.

« Meister Faolan » stellt sich jetzt der Schatten vor. Es ist ein Fuchs, der aufrecht vor ihm steht. Der Fuchs trägt einen Herrenanzug und streckt ihm seine Pfote entgegen.

« Wie kann das sein? » fragt sich Riwal.

Meister Faolan ist wie aus dem Ei gepellt. Sein Anzug ist ein Dreiteiler und farblich auf sein Hemd, seine Schuhe und die Künstlerschleife abgestimmt.

Sein Fell ist sauber gebürstet und sein Schnauzbart zuckt amüsiert.

« Das haben Sie wohl nicht erwartet, Herr Riwal? »

Riwal weiß immer noch nicht, was er sagen soll und nimmt die Pfote als Willkommensgruß entgegen.

Er denkt sich: « Und was, wenn jetzt jemand Normales in den Laden kommt? »

Wie schon oft in seiner Ausbildung scheint auch Meister Faolan Gedanken lesen zu können.

« Keine Sorge, hier kommt man nur mit einer Einladung hin. »

Riwal begreift langsam, dass auch diese Etappe zu seiner Ausbildung gehört.

« Wofür war denn diese Einladung? » fragt er.

Meister Faolan grinst: « Um Dir Dein erstes Druidengewand zu schneidern. »

Jetzt reißt Riwal die Augen auf und sieht langsam klarer.

« Jetzt schon » ruft er aus « ich dachte, das wäre erst im Sommer? »

« Du hast es Dir verdient Riwal! »

Riwal ist ganz außer sich: « Das weiße Gewand der Druiden, die ich bei Samhain gesehen habe? »

Jetzt lacht Meister Faolan schallend: « Nein, erstmal das grüne Gewand der Ovaten. Für das weiße Gewand brauchst Du noch ein paar Jahrzehnte. »

Wie auch immer, Riwal ist jetzt Feuer und Flamme und kann seine Fragen gar nicht mehr bremsen:

« Was für ein Stoff ist das...? »

« Wie wird dieses schöne Grün gefärbt...? »

« Wieviel Stoff braucht man für ein Druidengewand...?

« Ist das echtes Silber...? »

« Wie soll ich dafür bezahlen, ich habe doch gar kein Geld...? »

 

Nach die nach beantwortet Meister Faolan geduldig alle seine Fragen während er mit einem silbernen Maßband Riwals Masse nimmt: Seine Schulterbreite, seine Armlängen, seine Schulterhöhe usw.

« Das wichtigste für Dich heute ist, dass das grüne Gewand zeigt, dass Du ein Druide in der Ausbildung bist.

Jedes Mal, wenn es einen offiziellen Anlass gibt, wirst Du dieses Gewand tragen. Ich werde Dir ein zweites einfacheres Gewand in derselben Farbe schneidern, dass Du im Alltag tragen kannst.

So wissen alle in Broceliande, dass die Gilde der Druiden, auch Gorsedd genannt, sich bereit erklärt, Dich aufzunehmen. »

Riwals Augen werden immer größer, wenn das noch möglich ist.

« Das heißt, ich wurde von Gorsedd als Anwärter auf das Druidentum anerkannt? »

« Natürlich, wer meinst Du, hat diesen Termin heute ausgemacht? antwortet der Fuchs.

Langsam fügt sich alles in ein Bild ein.

Der Fuchs, die Einladung, Giulia, die ihn so geheimnisvoll nach dem Briefkasten gefragt hat. Alle wussten es, nur er nicht!

 

Meister Faolan fährt fort: « Die zweite wichtige Tatsache ist der Pflanzenfarbstoff, der für Dein Gewand benutzt wird. Das Grün der Ovaten ist eine Mischung aus Brennnesselblättern, blauem Heidelbeersaft und dem Gelb der Färberdistel. »

« Färberdistel? Davon habe ich noch nie gehört... » sagt Riwal.

« Du weißt doch hoffentlich, wie Disteln aussehen? » entgegnet Meister Faolan.

« Ja...schon...aber... » Riwal weiß nicht weiter.

Der Fuchs fährt unbeirrt fort: « Sie blüht mit rotgelben Blüten und aus ihren Samen presst man ein wertvolles Öl, das für viele Angelegenheiten nützlich ist.

Man kann es als Basis für Hautcremes benutzen. Vor allem Frauen schätzen die durchblutende Wirkung solcher Cremes. Es verringert Augenringe, Falten, Rötungen und Reizungen.

Nimmt man das Öl roh als Nahrungsmittel ein (z.B. mit Rohkost), hilft es uns unseren Stoffwechsel zu bremsen und mindert Entzündungen.

Zum Färben legt man die Blüten mit Wasser und dem Stoff zu gleichen Teilen ein. Noch ein oder zwei geheime Zutaten und in einer Vollmondnacht wird dieser wunderbare Stoff so grün wie Du ihn jetzt vor Dir siehst.

Dieses kostbare Öl muss frisch und dunkel aufbewahrt werden, sonst verliert es schnell seine Wirkung und wird ranzig.

Riwal hätte Meister Faolan noch Stunden lang zuhören können. Der elegante Schneider ist jetzt fertig mit dem Abmessen.

« Herr Riwal, Ihr Gewand wird zur nächsten Vollmondnacht fertig sein und in Ihre Hütte geliefert werden.

Bis dahin hier schon mal ein Vorgeschmack mit ein paar Färberdistelsamen. Ich habe gehört, Du hast ein Gewächshaus? Diese Distel kommt aus derselben Gegend wie Deine Freunde, die Zitrusfrüchte.

« Wenn Du sie jetzt säst, kannst Du im Sommer Ihre goldroten Blüten bewundern. »

So bekommt Riwal ein grünes Stoff-Säckchen mit Distelsamen, die er behutsam in seine Tasche steckt.

Ehe er es sich versieht, hat sich der Fuchs schon von ihm verabschiedet und Riwal sitzt wieder in dem erstaunlichen Zug.

Jetzt fällt ihm auf, dass auf die grünen Polster der Zugsitze eine gelbe Färberdistel gestickt ist.

« Was ein Tag! Juna wird stolz auf ihn sein in seinem neuen Gewand. Und die Zitrusfrüchte bekommen bald neue Gesellschaft.»



*********************** Ein Hoch auf die Färberdistel! *********************************

 

 Wollt Ihr mehr darüber wissen? Lass uns einen Termin ausmachen!

Immer freitags in der Praxis oder sonst per Visio

 

© illustriert von Emilien Dumoulin
© illustriert von Emilien Dumoulin

 
 
 

Comments


Daniela Kretschmer - Heilpraktikerin- Nähe Lyon/ Frankreich - genaue Adresse: 159 route de la vallée- 69380 Chessy les Mines- Kontakt: daniela.herbaliste@gmail.com

  • Instagram
  • Facebook
  • LinkedIn

Legales

bottom of page